Freundliche Fremde
Ein Haus, zwei Schwestern und dreizehn Designer: Wie ein Altbau in Berlin-Mitte zum Hoffnungsträger für das Konzept des möblieren Wohnens wurde

Der Freund, den Antonia Miller eigenlich nur zu einer Besichtigung begleiten sollte, war ganz und gar nicht anggetan. Das Eckgebäude in Rufweite vom Berliner Alexanderplatz hatte seine guten Tage lange hinter sich, so viel verriet bereits der erste Blick. 1866 als Bankhaus errichtet, war es später zu einem Mädchenpensionat umgebaut und in DDR-Zeiten dem Verfall anheimgegeben worden. Die benutzten Spritzbestecke im einstmals herrschaftlichen Aufgang taten ein Übriges, gelinden Grusel zu verbreiten. Bloß weg hier, signalisierte der Architekt seiner jungen Begleiterin. Deren Herz schlug allerdings aus ganz anderen Gründen ein wenig schneller: War dies nicht, fragte sie sich, allen Widrigkeiten zum Trotz genau der richtige Ort für ihren lang gehegten Traum?

Er war es. Heute, vier Jahre später, ist das Haus in der Münzstraße ein Bestandteil ihres Lebens. Von außen präsentiert es sich in neuem Glanz, in seinem Inneren hat Antonia Millers Vision von "einer Heimat auf Zeit" Gestalt angenommen. Die zwanzig Wohnungen des Hauses vermietet sie zusammen mit ihrer Schwester Stephanie Ecker seit kurzem möbliert an Geschäftsleute, die nicht in einem Hotel leben möchten. Zwischen 40 und 130 Quadratmeter groß, kosten sie ab 1150 Euro Miete im Monat. Eine Marktlücke, wie sie festgestellt hat. "Anders als in Barcelona oder London", sagt sie, "sehen möblierte Apartments hierzulande oft aus, als habe der Besitzer sie von der Schwiegeroma geerbt." Sie wollte stattdessen eine zeitgemäße Villa Vielfalt, in der jede Wohnung ihren eigenen Charakter hat. "Wenn man für ein paar Monate in der Fremde lebt, ist das immer ein Abenteuer. Man könnte sich die Haare färben, ohne dass die Freunde zu Hause das bemerken. Genauso kann man für kurze Zeit eine etwas seltsame Tapete haben. Weil man auch ein wenig jemand anderes ist, wenn man woanders wohnt."

Als unschätzbares Startkapital erwiesen sich ihre guten Kontakte. Binnen kurzer Zeit gelang es der ehemaligen Architekturstudentin, ein Dutzend Raumspezialisten und Künstler für ihre Idee zu begeistern - unter ihnen die Architekten Thonas Bendel und Katja Buchholz oder der Landschaftsplaner Christian Bauer. Bad und Küchenzeile wurden gestellt; für die restliche Ausstattung bekam jeder der Gestalter einen einheitlichen Betrag zur Verfügung", erläutert der Designer Martin Holzapfel mit einem Lachen: Die Wohnungen sollten am Ende bewohnbar sein." Jegliche Einmischung gelobte die Eigentümerin zu unterlassen. "Unsere Vorstellung war es", so Antonia Miller, "dass jeder Entwerfer zum autonom agierenden Paten seines Apartments wird."

Die Ersatzeltern nahmen ihre Verantwortung ausgesprochen ernst. Marie-Pascale Charles und Jo van Norden etwa, die in ihrem Einrichtungsgeschäft "Deco Arts" sonst alles gemeinsam planen, beschlossen spontan, diesmal getrennte Wege zu gehen. "Für uns war es ein Experiment", erzählt Marie-Pascale Charles. Während ihr Partner die beiden von ihm betreuten Wohnungen in zwei ausgesprochen luftige Interpretationen der skandinavischen Moderne verwandelte, sorgte sie mit warmen Farben und kuriosen Dekorationen für eigensinnige Behaglichkeit.

"Marie-Pascale und Jo waren die Ersten", erinnert sich Antonia Miller. "Und sie gingen die Sache mit so viel Hingabe an, dass sie alle anderen mitrissen. Dabei hatten wir nie im Sinn gehabt, einen Wettbewerb auszuloben, wer die tollste Wohnung entwirft." Die Entscheidung würde auch nicht leicht fallen. Martin Holzapfel etwas erfand eigens für eines "seiner" drei Apartments ein Regal- und Leuchtensystem aus Vierkantröhren. Thomas Bendel schuf ein sehr grafisches Ensemble schwarz lackierter Einbaumöbel mit abgeschliffenen und deshalb hell hervortretenden Kanten. Und Christian Dengler entwarf eine Holzwand, die im Laufe der Zeit hinter Grünpflanzen verschwinden wird, ohne dass sich die temporären Bewohner ums Blumengießen kümmern müssten. Die Bewässerungsautomatik funktioniert tadellos, wie Antonia Miller mit einiger Erleichterung feststellen konnte.

Der erste Mieter zog im Mai ein. Da waren die Malerarbeiten noch in vollem Gange, und so bekam der schottische Manager Einblick in mehr Wohnungen als nur die von ihm für drei Monate angemietete. Begeistert berichtete er seinen Bürokollegen von dem ungewöhnlichen Haus. Die Konsequenz: Nicht nur folgte ihm ein Firmenmitarbeiter nach dem anderen in die Münzstraße, manche von ihnen tauschen mittlerweile sogar untereinander die Apartments und freuen sich über jede Gelegenheit zum zeitweiligen Wechsel ihrer Wohn-Identität. Nur noch zwei Einheiten waren zur Zeit der Drucklegung unvermietet, in zwei weiteren wurde gerade die Möblierung vollendet.

Das Konzept, das den beiden Schwestern kreative Schübe (und so manche schlaflose Nacht) beschert hat, scheint aufzugehen. Trotz aller Bedenken: "Anfangs glaubten nicht einmal unsere Architekten so recht an einen Erfolg", berichtet Antonia Miller. "Vor dem Umbau zeichneten sie immer wieder Grundrisse, nach denen sich die Einheiten leichter in traditionelle Wohnungen hätten zurückverwandeln lassen." Statt jedoch in jedem Apartment ein separates kleines Bad und eine Miniküche zu planen, wollten die Eigentümerinnen den Wohnbereich so offen und großzügig wie möglich gestalten. Die Duschen etwas versteckten sie in Einbauten. Gestresste Geschäftsleute, so ihre Überzeugung, brauchen am Abend vor allem Luft und Platz, zum Auftanken und Durchatmen. Der erste Mieter hat übrigens gerade wieder seinen Vertrag verlängert - bis Mai 2009.